Gedanken
zum Stück und zur Inszenierung von Ulrich E. Hein
I.
Ein eigenes Erlebnis im Köln der 70-er Jahre: Eine
abendliche Kneipenbekanntschaft kommt nach einigen Kölsch
mit zu mir nach Hause: „Noch'n Bierchen; ist auch ruhiger
und gemütlicher." - Man plaudert und setzt den belanglosen
Unsinn der Kneipenunterhaltung bei weiteren Kölsch aus der
Flasche fort. Nach einer Stunde wird sein Ton aggressiver;
er fragt, was man denn so verdiene, wo man arbeite, ob man
alleine wohne ... Die Unterhaltung beginnt ungemütlich zu
werden, fernab kölscher gemütlicher Unverbindlichkeit. Ich
habe keine Lust mehr, beginne mit der klassischen
Vorbereitung des Hinauskomplimentierens: „Ich glaube, ich
muss jetzt langsam ins Bett. Du musst morgen bestimmt auch
früh raus." usw. - Der Besuch zückt wie zufällig ein Messer:
„Das hat noch jeden beeindruckt." Er lacht. Alles scheint
ein Scherz. Er geht zum Klo. Als er nach 15 Minuten immer
noch nicht zurück ist, gehe ich nachsehen. Er durchwühlt in
der Küche gerade die Schränke. Ich werde sehr deutlich. Aber
er: „Reg' dich nicht auf, man wird ja noch gucken dürfen,
wie die neue Bekanntschaft so wohnt." Ich bin fassungslos,
werde laut. Er entschuldigt sich, ist augenscheinlich sehr
geknickt. Ich bereue meinen Ausbruch. Im Wohnzimmer zurück,
zieht er eine Schublade der Kommode ganz heraus, kippt den
Inhalt auf den Boden: „Wo sind die Wertsachen?" Ich renne
zum Telefon und wähle die Polizei. Er drückt die Gabel
runter: „Was soll das? Hast du kein Vertrauen? 'Ne nette
Kumpel bist du!"
Er ging auf der Stelle, aber
ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. In diese Kneipe
ging ich nie wieder aus Angst, er könnte dort auch wieder
sein. Zum Glück traf ich ihn nicht mehr; aber noch
wochenlang zuckte ich bei jedem Klingeln zusammen: Immerhin
kannte er meine Adresse.
II.
Quellen bezeugen, dass die internationale Diplomatie lange
Zeit nicht glauben wollte an die ersten geheimen Berichte
über die deutschen Konzentrationslager während der NS-Zeit.
Zu absurd und skurril erschien das, was erste Exilanten und
Widerständler zu berichten hatten. „Das entbehrt jeglicher
Logik und Notwendigkeit!" waren die harmlosesten Kommentare.
III.
Bertolt Brecht zur beabsichtigten Wirkung des Theaters auf
den Zuschauer: „Das ist unglaublich, das hätte ich nicht
gedacht!". Und George Tabori in einem Interview zu seinen
Stücken und seinen Themen: „Hinter jedem Scherz steckt eine
kleine Katastrophe."
IV.
FORBES' Stück faszinierte mich zunächst durch seine sofort
nachvollziehbare Sprache, durch die stringente Dramaturgie
der Handlungsabläufe, durch die perfekte Beherrschung des
Verhältnisses von Spannung und Ent-Spannung. Die Figuren
bieten bestes „Futter" für die einzelnen Darsteller, und die
szenische Realisierung ist ohne Probleme durchführbar.
V.
Im Stück heißt es: „Warum gerade wir?" - „Weil Ihr Schweden
seid. Und die sind jetzt gerade dran." -Es ist die Rede von
„Stahlduschen", vom „tickenden Zeiger der Gasuhren", von den
Kindern, die am besten gleich mit ihren Eltern „ins Gas
duschen gehen" usw. Und die Täter bedienen sich der
klassischen Entschuldigung: „Wir tun nur unsere Pflicht. Wir
handeln nur auf Anweisung." Ob es tatsächlich so ist, oder
ob sie alle wahnsinnig sind, bleibt offen. Die Wahrheit
liegt irgendwo dazwischen.
VI.
Das Stück ist zu skurril und abgedreht, um als politisches
Theater zu gelten aber Anspielungen zu deutlich, als dass es
„nur" komisch wäre.
VII.
Unglaubliche aber reale Bedrohungen sind dem Aufmerksamen
oft allgegenwärtig, - im kleinen persönlichen Bereich ebenso
wie in politischen Strukturen. Der alltägliche Sadismus ist
um so bedrohlicher, je mehr er das Maß des Fassbaren
überschreitet und zur Groteske wird. Tabori logisch
fortgeführt: „Je größer der Scherz, desto größer die
Katastrophe." ?
VIII.
Die Inszenierung geht vom „Kleinen" aus. Je harmloser Gewalt
und Brutalität sich verkleiden, je netter die Täter sind,
desto beängstigender wird die Bedrohung, - im Privaten und
im Strukturellen.
Zum Stück:
Aufführungsrechte bei:
Vertriebsstelle und Verlag Deutscher Bühnenschriftsteller
GmbH, Norderstedt.
Inszenierung, Bühnenbild und Ausstattung: Ulrich E. Hein
Bühnenbildbau: Ulrich Maas, Walter Schichlein
Technik und Bühne: Patrick Dopieralski, Georg Frantzen,
Peter Mühlenkamp, Kaspar Zekorn
Assistenz: Vera Bray, Regine Söhnchen
Die Personen und ihre
Darsteller:
BARBARA: Kristina Barth
BRUCE: Thomas Knura
TOM: Oliver Hombach
DICK: Ralf Tenbrake
HARRY: Thorsten Kuchinke
Zeit: Das Stück spielt in der Gegenwart
Ort: Das Stück spielt im kombinierten Wohn- Schlafzimmer
einer gemütlichen kleinen Hochhauswohnung; oberste Etage
Ein herzlicher Dank geht an das MÖBELHAUS
SCHUSTER, Waldbröl für die großzügige Unterstützung dieser
Aufführung!
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